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Kompetenz- und Alltagstraining - Planlos in die Zukunft?

Teil III: Grobes Gerüst für die Zukunft entwerfen, Übung von Bewegungsabläufen und das sichere Auftreten in der Öffentlichkeit

Die Kooperation mit der Tanzschule Herzig aus Rottweil stellt für alle Beteiligten eine große Bereicherung dar. Jochen Hermann führt die knapp 30 Schülerinnen und Schüler durch ein kurzweiliges Alltagstraining mit zahlreichen Aha-Effekten. Der Erkenntnisgewinn unserer Jugendlichen erfolgt dabei über situationsbezogene Gespräche, praktische Übungen und gezielte Interaktionen in der Gruppe.

Der dritte Termin, das dritte Outfit. Jochen Hermann hat sich heute jugendlich-sportlich gekleidet, was bei den Schülern nicht unbemerkt bleibt. Die Reaktionen fallen positiv aus, weil auch dieser moderne Kleidungsstil zum freundlichen und offenen Wesen des dynamischen Tanzlehrers passt. Aber wie könnte ein solcher Wechsel auf den möglichen Arbeitgeber während eines Praktikums wirken? Im Gespräch fällt seitens der Schüler das Wort „undurchsichtig“. Man wisse dann ja gar nicht, für was so eine Person stehe. Hermann nickt und bestätigt, dass sich ein ständig änderndes Kleidungsbild durchaus irritierend auf Vorgesetzte auswirken könne. „Auch der Chef möchte doch ein klares Bild von seinen Mitarbeitern haben – auf was kann er sich verlassen?“, ermuntert er die Schüler zu einem Perspektivwechsel. In der Berufswelt herrsche vielerorts noch ein ausgeprägtes Rollendenken, auf das man sich einlassen müsse, um Erfolg zu haben.

Alle Schüler erhalten nun ein kleines Kärtchen. Hier soll jeder notieren, wo er sich in zwei, fünf und in zehn Jahren sieht (persönliche Ziele privat + beruflich). Zusätzlich können in einem Feld Wünsche oder Träume festgehalten werden, die man einmal im Leben gerne realisieren würde. Das Ergebnis bestätigt bekannte Sozialstudien: die meisten Jugendlichen streben nach beruflichem Erfolg, wünschen sich eine harmonische Familie und möchten gerne etwas von der weiten Welt sehen. Konkrete Zielperspektiven sind also vorhanden. „Zweiter Schritt: was brauche ich, damit meine Wünsche erreichbar werden?“, fragt Hermann. Erst nach einer Schrecksekunde kommen zögerliche Antworten. Man brauche einen guten Schulabschluss, sagt ein Junge. Und dann müsse man sich rechtzeitig um eine gute Ausbildung kümmern, merkt eine weitere Stimme aus dem Hintergrund an. Sämtliche Beiträge bestätigen die Alltagskognition vieler Lehrkräfte, wonach es bei ihren Schützlingen meist nicht am eigentlichen Wissen fehle, sondern an dessen konkreter Umsetzung im persönlichen Bereich. „Ihr müsst euch ein grobes Gerüst für eure Zukunft stecken. Das Hier und Jetzt schließt oder öffnet euch Türen, von denen ihr im Moment noch gar nichts wisst. An euren Zielen arbeitet ihr nicht erst in ein paar Jahren – nein, ihr steckt bereits mittendrin“, ruft Hermann den Schülern zu. Einige betretende Gesichter lassen vermuten, dass hier teilweise tatsächlich noch Handlungsbedarf besteht.

Dann wird es wieder praktisch. Hermann greift Übungen aus dem ersten Teil des Alltagstrainings auf. Es geht um den sicheren Stand und souveräne Bewegungen. Unter anderem wird der „Dreisatz des Tanzens“ zusammen mit einem Partner trainiert. „Mit den Grundschritten des Walzers könnt ihr beinahe jede Tanzherausforderung meistern“, erinnert Hermann. Und schon konzentrieren sich die Schüler erneut auf eine gerade Körperhaltung, übernehmen Verantwortung für den jeweiligen Partner und orientieren sich im Raum, um Rempler zu vermeiden. Platz ist schließlich Mangelware, sobald alle Schüler gleichzeitig aktiv sind. Bei manchen Tandems befindet sich noch Sand im Getriebe. Timing und Koordination müssen hier noch reifen. Schnell baut sich Frust auf, was meist in gegenseitigen Vorwürfen gipfelt. Hermann kennt dieses Problem: „Tanzen ist Teamarbeit. Bei der Teamarbeit gibt es keine Einzelpersonen, sondern nur die Gruppe. Ihr habt gemeinsam Erfolg oder durchlauft zusammen eine Durststrecke. Gegenseitige Vorwürfe münden in selbstzerstörerische Prozesse und verhindern die Lösung eurer Aufgabe.“

Die Zeit vergeht wie im Fluge. Im Fokus stehen jetzt weitere praktische Übungen zur Körperhaltung. Als ein neugieriger Junge aus der Grundschule seinen Kopf durch die Tür hereinstreckt, bietet ihm eine Schülerin sitzend und aus der Distanz spontan etwas Süßes an: „Magsch `nen Wurm?“ Der Junge schaut etwas irritiert und zieht sich dann wortlos zurück. Hermann schmunzelt, wendet sich der Schülerin mit den Süßigkeiten zu und wechselt leise ein paar Worte mit ihr. 29 Augenpaare folgen der jungen Dame, als sie aufsteht, mit einem Lächeln auf den Jungen zugeht, ihn freundlich anspricht, sich dabei durch Hockstellung auf Augenhöhe des Kindes begibt und ihm den „Wurm“ deutlich kredenzt. Ein Strahlen breitet sich auf dem Gesicht des Jungen aus, als er freudig die Süßigkeit entgegennimmt. Das Plenum nickt verständnisvoll und hat verstanden. Hermann braucht an dieser Stelle gar nichts mehr zu sagen.

Kommenden Dienstag wird es um Tischmanieren gehen. Weitere Aha-Effekte sind vorprogrammiert – wetten?